Verfolgung der Camera obscura im Dritten Reich

Erinnerungen an ein Ereignis, das in das Leben der C.o.O. und iherer Chargierten im 176. Semester eingriff, und zugleich ein bewusst gegen den Strom skizziertes Zeitdokument
von Dr. Heinrich Krahnstöver

1933 hatte Minister Spangemacher, für Kirche und Schule in der neu gebildeten NS-Regierung, angedeutet, die CoO würde wegen ihrer nach dem Rathenau-Mord in 1922 "bewiesenen nationalen Haltung" erlaubt werden und blühenden Zeiten entgegengehen. Aber er setzte sich nicht durch, mußte vielmehr seinerseits den Hut nehmen. Am 07.07.1936, unmittelbar vor den großen Ferien, bestellte mich OstD. Dr. Hempel zu sich. Er sagte mir auf den Kopf, die Vandalia am Realgymnasium sei geschnappt worden, von ihr wüßte man, daß es auch noch die CoO gäbe und ich ihr Praeses sei. "Wenn Sie das ehrlich zugeben, werden ich sie schützen können, sonst nicht...". Als ich vertrauensvoll genickt hatte, stürmte er zum Telefon: "Herr Ministerpräsident, Heil Hitler, ich habe sie...!!... Jawohl, ich werde sie von der Schule verweisen!" Zusammen mit dem Kanzler und dem Fuchsmajor, die sich zu mir bekannten, mußte ich die Schule verlassen. Mein Vater wurde vom Ministerpräsidenten Joel mündlich beschieden: "Ich werde dafür sorgen, daß Ihr Sohn an keine deutschen Schule zur Reifeprüfung zugelassen wird. Schicken Sie ihn doch in die Schweiz, das Geld dazu haben Sie ja gewiß."

Die Schulbehörde berief sich dabei nicht auf den Erlaß des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Rust vom 27.03.1935, der "für fortgesetzte Verstöße gegen Kameradschaftlichkeit und Gemeinschaftssinn... nach vergeblichen Besserungsversuchen in die Verweisung von der Schule" androhte, sondern auf die eindeutigere und härtere alte Schulordnung für das Staatliche Gymnasium Oldenburg : "Schüler, die in eine geheime Verbindung ... eintreten, sind von der Schule zu verweisen und können in besonders schlimmen Fällen von der Aufnahme in eine andere oldenburgische höhere Schule ausgeschlossen werden."

Der "Fall" wurde zum Tagesgespräch in Oldenburg, und weit darüber hinaus. Die "Thomaner" in Leipzig, das Alte Gymnasium in Bremen sowie das Ulrichsgymnasium in Norden erklärten sich bereit, mich auch ohne Genehmigung aus Oldenburg aufzunehmen. Alle möglichen Oldenburger (darunter der zuständige Oberschulrat Heering, nun auch wieder OstD Dr. Hempel) versuchten, mit vielen Eingaben, unter denen zeitgemäß "Heil Hitler" stand, die Wogen zu glätten.

Am 15.08.1936 endlich wurde unsere Aufnahme an einer anderen höheren Schule Oldengurgs genehmigt. Wir seinen, so heißt es in der Verfügung, der "Schwere des Verstoßes gegen Ehrlichkeit und Volksgemeinschaft nicht voll bewußt gewesen, sondern dem verhängnisvollen Treiben sogenannter Alter Herren oder Ehrenmitglieder zum Opfer gefallen".

Ob und wann wir zur Reifeprüfung zugelassen werden konnten, wurde u.a. auch von einem Zeugnis der Hitlerjugend abhängig gemacht, was in meinem Falle spaßig war. Denn mein früherer Rechen- und Turnlehrer am Gymnasium, jetzt HJ-Gebietsführer Hogrefe hatte mich auch aus der HJ ausgeschlossen (allerdings nicht ohne mir Mut zu machen: "Wenn Sie einmal in die SA oder eine andere Parteigliederung hinein wollen, dürfen Sie sich gerne auf mich berufen").

Wir drei Delinquenten wählten das Mariengymnasium in Jever als neues Schuldomizil, trafen dort auf nur drei, dazu auswärtige prächtige Mitschüler und konnten unsere früheren Klassenkameraden in Oldenburg bereits als freie "muli" mit aus der Schule entlassen, die in der HJ nicht mehr gefragt worden.

Parallel dazu waren übrigens auch polizeiliche Ermittlungen gelaufen. Dabei spielte wiederum die Vandalia eine Rolle. Bei ihr war nämlich ein Totenschädel gefunden worden, den die Polizei als Freimaurereigentum erkannte. Das hatte bei der geheimen Staatspolizei damals schlimmen Verdacht genährt, die Vandalia sei so etwas wie eine Jungfreimaurerloge. War das die CoO wohlmöglich auch? Tatsächlich hatten die Vandalen sich den Totenschädel, den ihr Comment für eine Rezeption vorschrieb, aus dem Hinterzimmer einer Schülertanzstunde im Logengebäude am Theaterwall kurzerhand geklaut.

Unser CoO-Urcomment aus dem Jahre 1848 fiel der Gestapo nicht in die Hände, sie wurden später vielmehr freiwillig an das Landesarchiv abgeliefert. Als diese Dinge bei der Gestapo sehr streng und ruppig mit mir erörtert wurden, versuchte ich mir, noch 16-jährig, mit einem Gegenangriff Luft zu schaffen. Das Verbot der CoO sei doch ganz ungesetzlich, von Land, Schule und Gestapo glatt übersehen worden, daß die CoO als "unauflösbare" Schülerverbindung gegründet worden wäre. Angesichts so viel unbefangener Naivität ging ein erstes Lächeln über die Züge meines Vernehmers...

Arbeits-, Wehr- und Kriegsdienst ließen über alles Gras wachsen - bis der glücklich heimgekehrte Oberleutnant d. Res. Krahnstöver auf Schwierigkeiten stieß, von der Friedrich-Willhelm-Universität in Münster angenommen zu werden, "es sei denn, Sie wären Verfolgter des Naziregimes?" Da waren die damaligen Vorfälle eine wilkommene Brücke...


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